SIEGEN
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Steffen Schwab 09.03.2021, 14:01
Lesedauer: 6 Minuten
Dominik Eichbaum und Jessica Helmke leiten den Förderverein, der die Gründung von D.E.In.E Schule
Foto: Privat
SIEGEN. Lernen statt unterrichten, Lernbegleiter statt Lehrer, Lernwelten statt Klassenzimmer: Die freie Schule für Siegen wird demokratisch.
„D.E.In.E Schule“ kommt. Man kann auch „Deine Schule“ sagen. Und erklären, wofür die Buchstaben stehen. „Demokratie erleben –Inklusion entwickeln.“ 2015 waren es angehende angehende Grundschullehrerinnen und –lehrer, die sich im Rahmen ihres Studiums mit offenen Unterricht befassten: ohne Klassenverband, ohne bis ins Letzte festgelegtem Stundenplan. Wo Kinder und Jugendliche nicht „unterrichtet“ werden – sondern lernen. 2018 begannen die ersten Schulgründungsstammtische. Und jetzt, 2021, wird es konkret: Die Schule, von der Initiative lieber als ein „Campus von freien Lernwelten“ bezeichnet wird gebaut. Und im Sommer 2022 eröffnet
Klar, sagt Dominik Eichbaum, der neu gewählte Vorsitzende des Fördervereins, zuerst habe sich die Initiative vorhandene Gebäude angesehen: Zentral im Siegener Kernraum und trotzdem naturnah sollte es liegen, und es sollte für die Umsetzung des pädagogischen Konzepts geeignet sein – flexibel, modular, ein Lerncampus wie ein Co-Working-Space, 1200 bis 1500 Quadratmeter Nutzfläche für um die 200 Kinder und Jugendliche der Jahrgangsstufen 1 bis 10. So ein Gebäude gibt es in Siegen nicht. Und deshalb wird es neu gebaut. In Workshop werden die Anforderungen formuliert, ein Architekt arbeitet an der Vorplanung. „Da fließen viele Perspektiven ein“, sagt Dominik Eichbaum. Die von Pädagogen, von Architekten, „im Idealfall auch die von Kindern“. Wo der Campus entsteht? „Wir haben ein konkretes Grundstück im Auge.“
Wäre die Pandemie nicht ausgebrochen, wäre die Initiative, derzeit um die 25 Mitglieder und zehn weitere externe Unterstützer stark, womöglich schon ein Jahr weiter. Die Beschränkungen halt, und das kräftezehrende Homeschooling. „Wie ein Brennglas“ habe Corona gezeigt, wo Schule hängt. Das wiederum spielt der freien, demokratischen Schule in die Hände, glaubt Dominik Eichbaum: „Nach einem Jahr Pandemie kann man sagen, dass sich das Schulsystem insgesamt weiterentwickeln wird.“ Jessica Helmke, stellvertretende Vorsitzende des Vereins, ist von Anfang an dabei. Die studierte Grundschullehrerin hat selbst drei Kinder, ein Mädchen könnte 2022 in der neuen Schule mit starten, Dass manche Eltern der ersten Stunde selbst nun nichts mehr von dem neuen Angebot haben werden, ist das Schicksal solcher Langläufer. Doch Jessica Helmke, auch Vorstand im Mütterzentrum, sieht den Nachwuchs heranwachsen: „Wir haben mit stark steigenden Schülerzahlen zu rechnen, an Kindern mangelt es uns nicht.“ Und auch der Druck bei der Suche nach Alternativen wächst, beobachtet sie: „Es gibt Kinder, die sind ganz unglücklich. Immer mehr Eltern werden laut.“
Viele Gespräche mit Stadt und Bezirksregierung sind bereits geführt. Vermutlich wird D.E.In.E Schule mit um die 100 Kindern starten: Lernanfänger in Klasse 1 und Kinder aus den Jahrgängen 4, 5 und 6, also im herkömmlichen Schulsystem von den Schnittstellen des Übergangs zur weiterführenden Schule und des Endes der Erprobungsstufe. Im jahrgangsübergreifenden Konzept spielen diese Marken keine Rolle. Die Kinder vereinbaren mit ihren Lehrern, die hier Lernbegleiter heißen, wann sie welche Ziele erreichen wollen. Dabei gibt es verschiedene Lernniveaus, die sich zum Ende der Schulzeit dem angestrebten Abschluss nähern – so ganz losgelöst vom staatlichen Schulsystem kann die freie Schule dann doch nicht sein. Dominik Eichbaum nennt die Alemannenschule in Wutschöschingen bei Waldshut als Beispiel: „Die kommt unseren Vorstellungen sehr nah.“
Auf ihrer Homepage benennt die Siegener Initiative fünf Bausteine: Demokratie-Pädagogik, Nachhaltigkeits-Pädagogik, freies inklusives Lernen, digitaler Lerncampus, Naturpädagogik. Was in der Konsequenz bedeutet, dass nicht nur studierte Lehrer als Lernbegleiter gefragt sind. Sondern, wie Jessica Helmke es formuliert, „alle, die Interesse an Kinder haben“. Das können auch Ehrenamtliche, Handwerker oder Pensionäre sein. „Nicht nur Lehrer können kompetent Kinder begleiten. Man muss Begeisterung haben für das, was man selbst tut.“ Dominik Eichbaum, studierter Kaufmann, sagt das mit Worten aus dem Vokabular, mit dem er als Wirtschaftsförderer bei der Stadt Siegen täglich umgeht: „Stop teaching, start learning!“ Nicht nur auf dem Campus, sondern auch an außerschulischen Lernorten. Wie umgekehrt auch die Welt in die Schule hereingeholt werden könnte: zum Beispiel in ein Repair-Café, das von Schülerinnen und Schülern betrieben wird.
Neben dem Neubau und dem pädagogischen Konzept stehen auch wirtschaftliche Fragen auf der Tagesordnung, die eine Ersatzschule klären muss, die 20 Prozent der Kosten selbst aufbringen muss. Dominik Eichbaum, seit November Nachfolger des Gründungsvorsitzenden Tobias Leßner, schwebt die Trägerschaft durch eine gemeinnützige GmbH vor, in die sich auch eine Stiftung und Privatleute einbringen. „Das ist auch ein Angebot an die Zivilgesellschaft, sich da einzusetzen.“ Denn den Spagat, einerseits Geld einspielen zu müssen, andererseits aber niemanden auszuschließen, sieht die Initiative auch: „Das soll keine Eliteschule werden“, sagt Dominik Eichbaum. Auch deshalb wäre eine breite Basis an Unterstützern wünschenswerter als die Abhängigkeit von einem großen Investor. Nur: „Keiner von uns hat einen reichen Verwandten in den USA.“
Dominik Eichbaum ist selbst ein Beispiel für Gründe, warum sich die Schul-Initiative wohl keine Sorgen um Nachwuchs machen muss: Er sei über Gespräche mit Mit-Eltern im Kindergarten darauf gekommen, erzählt er: „Eigentlich müsste man selbst eine Schule gründen“, sei so ein Gedanke gewesen – und da stießen sie halt auf die, die D.E.In.E Schule erfinden: „Das hat uns begeistert.“ Und dann sprudelten halt die Fragen nur so: Ob es denn die Schule schon gibt, die Kinder unterstützt, eigene Talente zu entwickeln?
Und: „Machen wir alles, dass Kinder die Herausforderungen von 2040 bestehen können?“ Denn dazu, meint er, gehöre mehr, „als Schule nur als Pflichtveranstaltung zu sehen“, und verwendet den Begriff vom „lebenslangen Lernen“. Das Geständnis, selbst eine eher „dialektische Beziehung“ zu Schule gehabt zu haben, liefert Dominik Eichbaum nach, sozusagen als Beleg für den Lernprozess. Keine Frage: Für den professionellen Wirtschaftsförderer ist D.E.In.E Schule ein Startup, in das er Energie steckt.
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